Olaf Merkel, früher Spieler, heute Teamchef des Tennisbundesligisten HTC Blau-Weiß

Tennis-Olaf-Merkel110-1016@Rechtzeitig zu Beginn der Saison 1976 tauchte ein hoch aufgeschossener schwarzer Lockenkopf an der Hüttenallee auf und stellte sich als neue Nummer 1 des Tennis-Bundesligisten HTC Blau-Weiß vor: Olaf Merkel aus Ebingen, einem kleinen Ort im Westen der Schwäbischen Alb. Nie gehört, sagten die Skeptiker, weder Merkel noch Ebingen. Und sie prophezeiten abschätzig: Der tanzt nur einen Sommer lang. Um sogleich – vermutlich nicht ohne Neid – hinzuzufügen: Der sieht viel zu gut aus, um gut zu spielen. Ein Beau.

Im Sommer 2013 ist Olaf Merkel immer noch an der Hüttenallee. Die schwarzen Locken sind grau geworden. Das Kampfgewicht ist damals wie heute gleich: plus minus 90 Kilo. Dass er Jahrgang 1952 ist, nun also die Altersschwelle überschritten hat, vor der viele Angst haben, sieht man ihm nicht an. Blau-Weiß spielt damals wie heute in der Tennis-Bundesliga. Fast ist alles so, als wäre es gestern gewesen. Nur ist die damalige Nummer 1 inzwischen Trainer und Teamchef. Und die letzten Jahrzehnte haben den Sport-Allrounder ganz schön durch die Welt geführt. Doch der Reihe nach.

Lehrjahre im Schwabenländle

Olaf Merkel in den Sechziger Jahren ist ein wilder Bursche, der vor allem Sport im Kopf hat, hinter Bällen herjagt, Fußball und Handball spielt und seit dem neunten Lebensjahr den Tennisschläger schwingt, schwer, aus Holz, mit einem Lederband über dem kantigen Griff. Der kleine Schlägerkopf verzeiht keine Fehler. Blasen sind an der Tagesordnung. Tennis ist ein Sommersport, Hallen gibt es – noch – so gut wie keine.

Wenn sich dann der Winter über die Schwäbische Alb legt, zieht Olaf die Skier an. Er läuft gut und schnell, träumt zeitweise von einer Laufbahn als Skirennläufer. Willy Bogner, Luggi Leitner, das sind die Stars in diesen Jahren. Im Slalom und Riesenslalom gehört er immerhin in seinem Jahrgang zur süddeutschen Spitze.

Aber eigentlich ist Tennis sein Sport. Das spürt er. Wenn nur die Schule nicht wäre. Und die Eltern, die am liebsten hätten, dass der Sohn einmal den elterlichen Textilgroßhandel in Ebingen übernimmt. 1968 ist Tennis in Deutschland noch eine Randsportart, elitär, vornehm-weiß. Über Tennisprofis rümpft man die Nase. Tennis-Internate sind unvorstellbar. Und so bedauert der halbwüchsige Olaf, dass er nicht mit 16 nach der Mittleren Reife ausschließlich Tennis spielen kann.

In seinem Lieblingssport stellen sich rasch Erfolge ein. Er zählt zu den besten Jugendlichen in Deutschland, ohne dass es zu einem Meistertitel reicht. Nach dem Abitur, das er eher notgedrungen gemacht hat, zieht es ihn weg aus der ländlichen Idylle in die Großstadt Stuttgart. Dort schließt er sich dem renommierten Tennisclub Waldau an und findet in Daviscupspieler Bodo Nitsche seinen „Ziehvater“.

Mit der Einführung der Tennis-Bundesliga kommt es 1972 in der Aufstiegsrunde zur Begegnung Stuttgart gegen Krefeld – für Olaf Merkel ein erster Kontakt mit leicht verzögerten Folgen. Es folgt ein Wintersemester als „Tennisstudent“ an der Universität in Miami unter der Sonne Floridas und im Sommer wieder Bundesliga-Tennis für Waldau.

Spieler-Jahre am Niederrhein

Im Herbst 1975 dann ein Anruf aus Krefeld: Dr. Helmut Rödl, Blau-Weiß-Vorsitzender von 1971 bis 1978 (und heute mit der „Creditreform“ ein angesehener Fachmann in Insolvenzfragen), fragte den jungen Schwaben, ob er nicht nach Krefeld kommen wolle. Die Mannschaft der „Namenlosen“ sei sehr ausgeglichen besetzt, aber ohne einen Spitzenmann. Als Nachfolger von Dirk Opperbeck suche man jetzt eine echte Nummer 1, die nicht automatisch Punktelieferant sei. Olaf Merkel betrachtete das Angebot als Chance und als Herausforderung, die Kräfte mit den Spitzenleuten zu messen – mit Uli Pinner (Hannover), Rod Frawley (Palmengarten Frankfurt) oder Karl Meiler (Amberg). Die familiäre Atmosphäre bei Blau-Weiß und das gute Verständnis mit dem väterlichen Freund und Kapitän Rolf Schüten spornte zu Leistungen an, die die Skeptiker ruhig stellten. Nach dem letzten Bundesliga-Abstieg 1981 spielte Merkel weiter für Blau-Weiß bis 1987. Es beginnt ein neuer Abschnitt.

Vom Spieler zum Coach

Sein Kollege (der spätere Bundestrainer) Klaus Hofsäss aus gemeinsamen Stuttgarter Bundesligatagen hatte ihn im Herbst 1984 angesprochen, sich für die Australian Open im Dezember als Sparringspartner und Coach für ein 15jähriges Talent zur Verfügung zu stellen. Ihr Name: Stefanie Graf, später bekannt geworden als unser aller Steffi. Ohne genau zu wissen, was auf ihn zukommt, sagte Merkel zu. Das Ende seiner aktiven Laufbahn war für den 32jährigen absehbar, und ihm war klar, dass er eigentlich und vor allem Tennis gelernt hatte.

Im fernen Australien machte er wertvolle Erfahrungen: 1. Als Coach ist man Vertrauensperson und Mädchen für alles. 2. Als Coach ist man Blitzableiter und Sündenbock. 3. Als Coach ist man verloren, wenn die familiären Bindungen der jungen Spielerinnen zu kompliziert sind. Wie im Fall der Stefanie Graf und ihres Vaters.

Allerdings traf Merkel in Down-under eine andere junge Spielerin, Claudia Kohde-Kilsch. Zwar wurde auch sie betreut durch ihren (Stief-) Vater Jürgen Kilsch; das Verhältnis insgesamt war allerdings weniger problematisch. Mit der Doppelspezialistin tingelte Merkel kreuz und quer durch die Tour. Acht Monate des Jahres lebte er aus dem Koffer, diese Woche Sydney, nächste Woche Tokio, zurück nach Europa über die Sand- und Rasenplätze des Kontinents, über den Atlantik hinüber auf die US-amerikanischen Hartplätze.

Ein abenteuerliches Leben? Der Weltenbummler in Sachen Tennis nennt diese Zeit aus heutiger Sicht einerseits lehrreich andererseits „recht eintönig“. „Du bist nur von großen Kindern umgeben, die alle ausschließlich auf Tennis programmiert sind. Von den ganzen Traumstädten siehst du relativ wenig, manchmal nur die mehr oder weniger attraktiven Tennisanlagen. Hin und wieder hast du ein wenig Zeit zum Sightseeing, aber oft bist du einfach nur mit Warten beschäftigt und natürlich davon abhängig, wie dein Schützling abschneidet.“

Mit Claudia Kohde-Kilsch hat er Glück. Sie ist erfolgreich und relativ pflegeleicht, da Vater Kilsch für die Psyche zuständig ist und Merkel überwiegend fürs Sportliche. Die Saarbrückerin, Jahrgang 1963, gehört in diesen Jahren zu den weltbesten Doppelspielerinnen und gewinnt mit Helena Sukova Grand-Slam-Titel in Flushing Meadow und Wimbledon. Doch auch im Einzel ist die 1,84 m große Spielerin erfolgreich, erreicht drei Mal ein Halbfinale bei den Grand-Slam-Turnieren in Australien und Paris und erklimmt im September 1985 sogar Platz 4 in der Weltrangliste.

Für Coach-Neuling Merkel war dieser Schützling so etwas wie das große Los. Er bekam einen Namen in der Tennisszene und knüpfte viele Kontakte. Er erlebte aber auch aus intensiver Nähe, wie sich Claudia Kohde unter dem lastenden Druck der Öffentlichkeit veränderte, wie sie zunehmend larmoyant reagierte und lamentierte, wenn etwas nicht so gut lief, wie sie mit gesenktem Kopf über den Court schlurfte und für Tipps des Coachs nicht mehr zugänglich war. Ende 1986 trennten sich die Wege der Beiden. Danach erreichte die Spielerin nie mehr ihre alte Stärke.

Olaf Merkel übernahm danach noch die Betreuung von Stefanie Rehe, einer jungen Amerikanerin aus Kalifornien, die bereits als „neue Chris Evert“ gehandelt wurde und auf Rang 13 der Weltbesten emporschnellte. Nach einem dreiviertel Jahr auch hier die Trennung: Die räumliche Entfernung war zu groß. Konsequent wandte sich Merkel einem Talent in Deutschland zu, Silke Meier, die er 1988 und 1989 coachte und bis auf ATP-Listenplatz 35 brachte. Nach diesen Erfahrungen sagte er sich: „Das war’s. Die Sache füllte mich einfach nicht mehr aus, obwohl ich noch ein Angebot hatte, Mary Pierce zu betreuen. Aber auch da gab es zu dieser Zeit einen unmöglichen, tobenden Vater.“

Tennis-Olaf-Merkel-Team110-@

Er tanzte mehr als nur einen Sommer

Neben seinem Tennis-Engagement beweist sich Merkel als sportliches Multitalent, spielt seit vielen Jahren Hockey bei den „Maulwürfen“, einer ambitionierten Hobbytruppe des CHTC, jagt im Winter dem Puck bei den „Panda-Bären“ nach, und – wenn die Zeit es zulässt – setzt er sich aufs Rennrad und macht auch dort eine gute Figur.

Ob er etwas anders machen würde, wenn er noch mal die Wahl hätte? Olaf Merkel überlegt nicht lange: „Mit den Fördermöglichkeiten von heute wäre ich damals mit der Mittleren Reife abgegangen und Tennisprofi geworden. Ich finde das Desinteresse der heutigen Jugend am Spitzensport schade und verstehe nicht, warum so wenige von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich etwas abzuschauen, wenn auf unserer Anlage wirkliche Spitzenkönner spielen und trainieren.“

Das sagt einer, der es weiß und seit fast vier Jahrzehnten Blau-Weißer ist. Von wegen: Er tanzte nur einen Sommer lang…

Bilder: Peter Bauland

Hinterlasse einen Kommentar